Verschleppung nach Russland
Ich war 26 Jahre alt, meine Mädels 5 und 7 Jahre, als mein Mann eingezogen
wurde. Ab dann war ich alleine und mein ganzes Leben sollte mit vielen, harten
Schicksalsschlägen bestimmt sein.
In unserem Dorf waren 550 Einwohner. Am 15.01.1945 wurden aus unserer
Gemeinde 118 Personen nach Russland verschleppt, 28 davon sind gestorben.
Wir hatten Angst und gingen mit. Die Kinder blieben bei den Omas oder der
Verwandtschaft zurück. Die Männer waren ja
alle noch im Krieg.
Wir wurden in Viehwaggons verfrachtet
und durften nur das Notwendigste an
Kleidung, Bettzeug und Lebensmittel
mitnehmen. Nach zwei Wochen Fahrt
kamen wir in Stalino an.
Wir wohnten in zwei Häusern, die vom
Krieg zerstört waren. Die Zimmer waren
waren 20 m² groß und die Fenster
waren zugemauert. Zwei aufeinander
gebaute
Holzgestelle waren unsere Betten. Wir waren 32
Personen in dem Zimmer. Wir hatten zwar Strom, aber kein Wasser. Das haben
wir aus einen 8 m selber gegrabenen Brunnen holen müssen.
Ratten und Wanzen waren unsere Zimmergenossen, aber nur die Läuse konnten
wir bekämpfen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel Elend wir
durchmachten.
Wir mussten jeden Tag 3 km unter Bewachung zur Arbeit. Ich habe Steine am
Bau geschleppt. Im Winter hatte ich noch Nachtschicht in der Näherei. Ich hatte
das Glück, nicht in der Kohlengrube arbeiten müssen, wie die meisten.
Ich erinnere mich an einen Abend. Da wurden wir Frauen bei 22 Grad Kälte im
hohen Schnee losgeschickt, um Brot zu holen, natürlich unter Bewachung. Es
war ein langer Fußweg von 5 km. Wir waren 5 Stunden unterwegs. Unsere
Mäntel und Röcke waren steif gefroren. Wir hatten nur normales Schuhwerk
angehabt. In dieser Nacht habe ich die Hoffnung auf ein Überleben aufgegeben.
Ich überlebte - 18 Tage hohes Fieber, Typhus.
Der Hunger war unser ständiger Begleiter, besonders im Hungerjahr 1947. Wir
zupften Unkrautblätter und brühten sie mit heißem Wasser ab. Wir hatten 1/2
kg Brot aus Gerste, Mais und Holzspänen. Eine Suppe bestand manchmal aus
grün eingelegte Tomaten, zwei kleinen Würfeln Fleisch und ab und zu gab es
zwei Esslöffel Hirse oder gekochte Gerste dazu.
Meine Kinder waren während meiner Verschleppung bei meiner
Schwiegermutter. Was für ein seelischer Schmerz für mich. So weit weg von
meinen Kindern.
Am 28. Juni 1948 wurde ich nach 3 ½ Jahren Arbeitslager entlassen. Ich habe
überlebt, viele starben.
Bei meiner Heimkehr schauten dann fremde Menschen aus unseren Häusern. Die
neuen Kolonisten, ein Nomadenvolk, lebten jetzt mit ihren Schafen in unseren
Häusern. Alles war verwahrlost. In den Ställen war 30 cm Schafmist. Bei allen
Obstbäumen waren die Äste abgeschnitten. Es war alles kaputt.
Es war auch nicht mehr unser Haus. Wir wurden total enteignet: Unser Feld,
alle Maschinen, 4 Waggons Weizen, sogar unsere Möbel gehörten uns nicht mehr.
Wir hatten ja schon viel verloren, als 1944 die Russen einmarschierten (5
Pferde, 20 Mastschweine 80 kg, 3 Pferdewagen, 2 Motorräder, 40 m Hafer, 10 m
Mais, alle Lebensmittel) Aber jetzt hatten wir gar nichts mehr, wir durften nur
in einem unserer ehemaligen Zimmer und in der Sommerküche wohnen.
Die neuen Kolonisten bekamen 6 Hektar Feld, die wussten damit aber nichts
anzufangen. Sie arbeiteten nicht und die Ernten fielen dementsprechend gering
aus.
Es war nichts mehr da als meine zwei Kinder und meinen 10 Fingern.
Zur Info:
Der Krieg der Deutschen war verloren
und 1945 gab STALIN den Befehl zur
Zwangsverschleppung: Alle
Volksdeutschen, darunter ca. 30.000
Banater Schwaben, sollten zur
Zwangsarbeit nach Russland
deportiert werden.
STALIN betrachtete diese Maßnahme
als “Reparation für die Zerstörung
durch die Deutschen im Zweiten
Weltkrieges in seinem Land”.
Alle Männer zwischen 16 und 45 und
Frauen zwischen 18 und 30 Jahren
wurden zur Zwangsarbeit verschleppt.
Die Ortseingänge wurden vom Militär
abgeriegelt und die bewaffneten
Patrouillen gingen von Haus zu Haus
und nahmen die Bewohner mit.
Mütter wurden von ihren Kindern
getrennt. Man ließ nur die Alten,
Kranke und Kinder im Dorf. Es war ein
schmerzvoller Abschied, denn keiner
wusste, was die Zukunft bringt……